CHS - Washington. Über die Zukunft der
NATO sprach am 12. Dezember 2006 Dr. Rainer Stinner, MdB (FDP), auf Einladung der
Friedrich Naumann Foundation in Washington. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich die Aufgabe der NATO gewandelt: Die einst rein militärische Organisation agiert heute zunehmend auf Gebieten, die für die Sicherheit ihrer Mitgliedsstaaten mindestens genauso wichtig sind: globale Erwärmung, Energieversorgung und Terrorismus. Die NATO ist außerdem ein wichtiges Formum des transatlantischen Dialogs, wenngleich das
NATO Council als politisches Gremium in der allgemeinen Öffentlichkeit relativ unbekannt ist.
Stinner zeigte zunächst die Probleme der NATO auf: Der Informationsaustausch der Mitgliedsstaaten untereinander sei oft ungenügend, weil die Individualinteressen zu weit auseinander lägen. Auch besitze die Organisation keinen Think Tank und werde von einigen Mitgliedern nicht als Diskussionsforum akzeptiert. Ausbaufähig seien weiterhin die Schnittstellen zu anderen internationalen Organisationen wie der EU, den Vereinten Nationen und der OSZE. Stinner bezeichnete es als reines Desaster, dass in der Vorbereitung der europäischen Kongo-Mission seitens der EU die Unterstützung durch die NATO nicht einmal angefragt wurde.
Diesem Befund stünden Expansionspläne mancher NATO-Mitglieder gegenüber, die Stinner eher kritisch sieht. So bezeichnete er die Partnerschaft für den Frieden mit Serbien als verfrüht, da die serbische Regierung noch immer nicht mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag kooperiere. Auch die strategische Partnerschaft mit Russland bedürfe einer weitergehenden Definition, da die NATO eine Organisation mit gemeinsamen Werten, gemeinsamen Interessen und enger Kooperation darstelle.
Für eine weltweite Expansion der NATO, die von manchen Mitgliedsstaaten befürwortet werde, sei zudem eine Anpassung der bestehenden Verträge notwendig. Die NATO würde sich bei der Aufnahme von Staaten, die westliche Werte teilten und demokratisch regiert würden, so Australien, Neuseeland oder Japan, von einer regionalen in eine globale Organisation verwandeln. Es sei jedoch kaum denkbar, dass in einem solchen Fall beispielsweise neuseeländische Truppen auf dem Balkan stationiert würden. Möglich seien auch Kooperationen mit anderen Staaten unterhalb der Ebene der Mitgliedschaft, wie ein kürzlich geschlossener Vertrag der NATO mit Kuwait beweise.
In der laufenden Afghanistan-Mission sieht Stinner bedeutende Abstimmungsprobleme: Die Trennung zwischen OEF- und ISAF-Missionen bezeichnete er als künstlich, da ein Soldat in der Praxis kaum unterscheiden könne, ob er einen national handelnden Rebellen oder einen internationalen Terroristen vor sich habe. Weiterhin gebe es seitens des afghanischen Parlaments eine ganz eindeutige Aufforderung, die internationalen Streitkräfte noch nicht abzuziehen, allerdings verbunden mit der Bitte, dem afghanischen Volk mehr Respekt entgegenzubringen. Möglicherweise, so Stinner, brauche die NATO eindeutige Verhaltensregeln für ihre Soldaten.
Zum Schluss ging Stinner auf die Lastenverteilung innerhalb der NATO ein. Schon seit Jahren werde die finanzielle und organisatorische Hauptlast der NATO von den USA getragen, die 3,2 Prozent ihres Budgets für die Verteidigung ausgäben. Deutschland dagegen opfere nur 1,4 Prozent seines Haushalts für die Verteidigung - deutlich zu wenig, um technologisch mit den USA mithalten zu können. Dennoch komme Deutschland seinen internationalen Verpflichtungen nach und sende beispielsweise Spezialkräfte nach Afghanistan, die den Norden sicher hielten. Andere Staaten, die für den Süden verantwortlich seien, müßten sich über die dortige schlechte Sicherheitslage nicht wundern, wenn sie nicht bereit seien, genügend Streitkräfte in dieses Gebiet zu verlegen.
Die Teilnehmer der anschließenden Diskussion waren sich einig, dass die NATO für die Sicherheit der westlichen Staaten auch künftig eine wichtige Rolle spielen wird. Wie die Zukunft der Oranisation konkret aussehen wird, hängt maßgeblich vom Willen ihrer Mitgliedsstaaten ab. Von der kommenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft auch für die NATO konsensfähige Impulse zu erwarten, dürfte wohl etwas zu viel verlangt sein.