FU - Washington. Wenn man einen strafrechtlichen
Jury Trial im
Superior Court in Washington, DC, besucht, stellt man sich Folgendes vor: Ein Richter auf der erhöhten Richterbank, eine Jury, der
Staatsanwalt und der Angeklagte angekettet und in Orange gekleidet.
Doch anders als erwartet, trägt der
Defendant keine Handschellen und keine Gefängniskleidung, sondern einen schicken Anzug. Der Angeklagte soll nämlich nicht wegen eines ungepflegten Auftretens vorverurteilt werden!
Denn auch in den USA gilt die
Unschuldsvermutung bis zum Schuldbeweis. Daher achtet das Gericht bis auf das kleinste Detail darauf, dass der Angeklagte ordentlich gekleidet ist. So lässt der Richter die Jury aus 14 Personen den Gerichtssaal nicht betreten, bis der Angeklagte eine Krawatte anlegt.
Am ersten Tag des
Jury Trials muss die Jury einen Eid leisten. Ihr wird ausführlich erklärt, dass nicht das Gericht, sondern die Jury über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten nach bestem Wissen und Gewissen entscheidet und dieser als unschuldig gilt, bis die Schuld
beyond a reasonable Doubt festgestellt ist. Die Staatsanwaltschaft trägt dafür die vollständige Beweislast.
Die Richterin informiert die Jury auch, dass lediglich 12 Juroren den Schuldspruch,
Verdict, erlassen werden. Am Verfahrensende werden zufällig zwei Plätze der Juroren ausgewählt, die nicht an den
Deliberations mitwirken dürfen. Das Verdikt muss immer
unanimous sein.
Nach der Einführung der Jury durch den Richter ist es nicht ungewöhnlich, dass die Sitzung unterbrochen wird. Zum Erstaunen der Zuschauer kann das Gericht die Verhandlung unterbrechen, um andere auf denselben Tag terminierte Prozesse schnell abzuhandeln.
Am Tag meines Besuchs im
Superior Court of the District of Columbia rief das Gericht in der für 15 Minuten angesetzten Pause zwei weitere Verfahren auf, um diese fortzusetzen. Zunächst erfolgte ein Strafurteil,
Sentencing. Ein Angeklagter, dessen Jury Trial bereits abgeschlossen war, wurde binnen drei Minuten zu 48 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Zur Nutzung der restlichen 12 Minuten erging ein Verdict in einem anderen Verfahren.
Der vorsitzende Juror stand dafür auf und erklärte auf die Fragen der Richterin, ob die Jury in den einzelnen Anklagepunkten den Anklagten für schuldig oder unschuldig erkannte. Dann wurde zur Sicherstellung der
Unanimity jeder Juror einzeln befragt, ob die vom Vorsitzenden vermittelten Angaben auch mit der individuellen Auffassung übereinstimmten. Nachdem alle 12 Juroren ihre Übereinstimmung erklärten, vereinbarte das Gericht einen Termin für das
Sentencing.Nach effektiver Nutzung der Pause wurde der Strafprozess fortgesetzt. Die Staatsanwaltschaft verlas die Anklage. Danach stellte sich der Staatsanwalt vor die Geschworenen und erläuterte den Sachverhalt. Er erklärte, weshalb er den Angeklagten für schuldig hält und welche Beweise er in den nächsten Verhandlungstagen vorbringen wird, die die staatliche Auffassung der Geschehnisse bestätigen können.
Daraufhin erhob sich die Verteidigerin und erklärte ihre Auffassung des Hergangs und warum der Angeklagte freizusprechen sei und dem Opfer kein Glauben zu schenken sei.
Anschließend begann die Zeugenvernehmung, und Beweise wurden nach den
Rules of Evidence der Jury vorgetragen. Der Prozess wurde auf fünf Verhandlungstage festgesetzt. Der Besuch eines Jury Trials ist jedem zu empfehlen. Für mich war er ein
Highlight meiner Washingtoner Wahlstation.