Der König wollte sich scheiden lassen. Das Common Law kennt keine Scheidung.
Es kennt Schadensersatz. Der nützt dem König nichts. Er ist jedoch mächtig, wie es sich für Könige gehört. Aus eigener Hoheit bestimmt er, dass die Scheidung Recht wird. Er denkt bei seinen Entscheidungen nicht nur an sich:
Investoren fürchten die weinenden Mütter am Hafen. Sie haben erfahren, dass die Erde nicht flach, sondern kugelrund sei. Der Aufbau einer Flotte zur Entdeckung neuer Schätze klingt lohnend, doch auch riskant.
Die Investoren wollen in die Entdeckungsflotte investieren. Allerdings ohne Haftung. Wenn die Erde doch nicht rund ist und hundert Matrosen am anderen Ende ins All kippen, könnten die Investoren hunderten von weinenden Müttern Damages, Schadensersatz, nach dem Common Law schulden.
Jeder Partner eines Partnerships, das das Common Law wie das deutsche Gesellschaftsrecht die OHG oder BGB-Gesellschaft kennt, ist mit diesem Risiko vertraut. Er Müsste mit seinem Privatvermögen haften. Viel zu riskant!
In ihrer Weisheit wenden sich die Investoren an den König: Wir erobern die Welt für das Königreich. Der König gewährt uns eine Haftungsbeschränkung: Wir wollen nur mit dem Kapital haften, das wir in die Gesellschaft einbringen, für sonst nichts.
Der König stimmt zu: Mit der königlichen Charter, ähnlich einer Bulle im deutschen Recht, wird die Corporation gegründet. Haftungsbeschränkt auf die Kapitaleinlage zur Finanzierung und Ausstattung der Flotte und der Reise um die Welt. Wie eine GmbH oder AG. Die Corporation haftet nicht darüber hinaus. Also auch nicht den Müttern der am Ende der Welt verlorenen Matrosen.
Scheidung, Corporation, Injunctions - alles Equity-Konzepte. Aus königlicher Hoheit geschaffen. Ganz ohne Jury.
Injunctions als einstweilige Verfügung und Unterlassungsverfügung sowie Klagen auf Erfüllung oder Leistung kannte das Common Law auch nicht. Equity macht's möglich.
Allerdings kann Equity nicht beliebig herangezogen werden. Equity ist die Ausnahme. Schadensersatz ist die primäre Rechtsfolge im Common Law. Und Schadensersatz geht vor. Wenn ein Schadensersatzanspruch samt Ausgleich in Geld denkbar ist, darf man keinen Equity-Anspruch geltend machen.
Lektion 2: Equity-Verteidigung
Weil Equity nichts mit dem Common Law gemein hat, bietet Equity natürlich auch andere Einreden und Einwendungen, Defenses, zur Abwehr von Ansprüchen als das Common Law.
Unclean Hands ist ein gutes Beispiel. Wer selbst Dreck am Stecken hat, kommt mit Equity zu nichts. Der ganze Anspruch geht unter.
Im Common Law würde auf ein Mitverschulden abgestellt. Je nach Staat in den USA kann das Mitverschulden zu einer Aufteilung der Haftung führen. Je nach Staat unterschiedlich und oft kompliziert. Doch wird es berücksichtigt. Im Equity eben nicht: Alles oder nichts lautet dort die Devise.
Die Verjährung nach dem Statute of Limitations gilt im Equity-Recht auch nicht.
Sie gehört ja zum Common Law. Equity begrenzt jedoch ebenfalls die Verfolgung von Ansprüchen. Laches heißt das Prinzip, das neben anderen Faktoren den Zeitablauf berücksichtigt. Auf Deutsch: Lattscheß. Auf Rechtsdeutsch etwa: die Verwirkung.
Lektion 3: Equity-Gerichtsbarkeit
Im Equity sind also Ansprüche, Rechtsfolgen und Einreden anders als im Common Law. Auch die Verfolgung der Ansprüche folgt anderen Regeln.
Das königliche Recht gelangt nicht bei Allerweltsproblemen zur Anwendung. Der König kann sich ja nicht um alles kümmern.
Zu seiner Entlastung hat er den Finanzminister, den Chancellor, ins Equity-Recht eingebunden. Den schickt er nicht unter die Dorfeiche. Der königliche Kanzler kann ihm manche Entscheidung abnehmen - und den Gründern von Corporations auch eine passende Gebühr.
Der Chancellor hat auch genug am Hals. Er richtet sich den Chancery Court ein: Eine parallele Gerichtsbarkeit neben den Common Law-Gerichten. Auch räumlich getrennt.
Wen wundert's - die Engländer brachten auch diesen Chancery Court in die USA, und hier gibt es ihn noch, während die Engländer Common Law und Equity schon vor knapp hundert Jahren verschmolzen. Begonnen hatten sie mit der Verschmelzung schon im 19. Jahrhundert, aber das wirkte sich nicht in den USA aus.
Der königliche Kanzler ist also in den USA weiterhin aktiv, und die Trennung der Rechtskreise des Common Law und Equity wird streng beachtet. Die Jury darf nur Common Law-Klagen beurteilen. Fragen des Equity gehören allein vor den Richter.
Dass die Trennung auch Auswirkungen auf das Beweisrecht, Evidence, hat, ist eine natürliche Folge. Ganz offensichtlich ist sie jedoch nicht. Kurz: Die Jury kann nach herkömmlicher Auffassung eher den emotionsgeladenen Plädoyers der Anwälte erliegen als ein Richter. Daher gelten die 1000 Regeln über den Beweis vom Hörensagen, Hearsay, im Prozess vor der Jury - zu ihrem Schutz vor allzu gewieften Anwälten. Sie gelten nur eingeschränkt vor dem Nachfolger des königlichen Kanzlers.
Er ist weniger schutzbedürftig als die Laiengeschworenen.
Verwirrend? Die Trennung von Equity ist auch nützlich. In Delaware ist Equity ein wichtiges Element einer bedeutsamen Einnahmequelle des Staates. Betrüger und Konzerne gründen dort gern Corporations. Die Betrüger, weil sie es den Großkonzernen gleich tun wollen. Die Konzerne, weil die Equity-Richter dort besonders viel Erfahrung mit den Regeln zum Schutz der Geschäftsführung vor unerwünschten Übernahmen besitzen.
Die Materie ist kompliziert. Bei einer solchen Übernahme kann die Erfahrung der Richter ebenso ausschlaggebend wie ihre schnelle Einsatzbereitschaft sein.
Während sich die Prozessparteien in anderen Staaten bei Richtern, die komplexe Übernahmen nur alle Jubeljahre erleben, in die Schlange stellen müssen, werden sie im Chancery Court in Delaware flink und kompetent bedient. Zufriedene Kunden stützen den Ruf des Staates Delaware für solche Unternehmen. Also lassen sie sich dort nieder, sobald sie groß genug für eine landesweite Präsenz sind, und zahlen handelsregisterliche Gebühren und Körperschaftsteuern in die Staatskasse von Delaware.
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