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Sonntag, den 04. März 2007

Haftet Gutachter für Aussage ?  

.   Kann ein Gutachter im Prozess eine Partei beleidigen? Eine Ärztin zerschnippelte einer Patientin den Hals. Sie hält die Aussage eines als Gutachter vernommenen Kollegen für beleidigend. Er bejahte bei seiner Vernehmung, Deposition, im Arzthaftungsprozess der Patientin einen Kunstfehler. Seine Folgerung war umstritten.

Zudem glaubt die Neurochirurgin, unter Kollegen stelle die Aussage eine Vertragsverletzung dar, denn der Ethik-Kodex des Ärzteverbandes wirke wie ein Vertrag und regele Gutachten. Sie gewann den Kunstfehlerprozess und verklagt nun den Gutachter auf Schadensersatz.

Aus ihren Aussagen darf Zeugen kein Strick gedreht werden, lautet der Grundsatz des Gewohnheitsrechts, Common Law, solange sie nicht lügen, vgl. Ritchey v. Maksin, 376 N.E.2d 991 (Ill. 1978). Wenn sie lügen, werden sie wegen Meineids verfolgt.

Gilt für Gutachter eine Ausnahme von diesem immunisierenden absolute Privilege? Das Bundesberufungsgericht des siebten Bezirks findet nach einzelstaatlichem Recht eine Ausnahme für Straftaten, die ein Zeuge neben der eigentlichen Aussage behauptet. Wenn ein sachlicher Zusammenhang zur Vernehmung fehlt, darf ein Zeuge beispielsweise nicht haftungsfrei aussagen: Und außerdem ist er ein Mörder, Dieb, Pleitegeier …, s. Macie v. Clark Equipment Co., 290 NE2d 912 (1972).

In Sachen Margaret MacGregor v. L. David Lutberg, Az. 06-2829, erörtert das Gericht am 27. Februar 2007, dass das anwendbare Präzedenzfallrecht von Illinois die von der Klägerin angeregte Ausnahme für Gutachter nicht kennt. Im Gegensatz zu kümmerlich vergüteten Zeugen werden Gutachter und Sachverständige meist leistungsgerecht bezahlt. Aufgrund der Vergütung könnte der Staat bestimmen, dass der expert Witness für Fehler ein Haftungsrisiko trägt.

Andererseits würde eine solche Rechtslage Beleidigungsklagen Tür und Tor öffnen - ohne Gewinn für die Rechtssicherheit. Die Rechtsprechung hat daher andere Vorkehrungen entwickelt, um Fehler von Gutachtern zu vermeiden. So werden ihre Qualifikationen detailliert untersucht. Dieser Filterprozess ist nicht perfekt.

Doch ist er einer Ausnahme vom Haftungsprivileg vorzuziehen. Außerdem greift bei Gutachtern und Zeugen ohnehin die Haftung für Lügen sowie eine bereits von diesem Gericht anerkannte Ausnahme für absichtliche und böswillige Beleidigungen, s. Matheny v. United States, 469 F.3d 1093, 1097 (7th Cir. 2006). Dergleichen wird hier nicht behauptet.

Die Klägerin hätte vielleicht die Präzedenzfälle des Staates für fahrlässige Beleidigungen durch Gutachter umstoßen können, wenn sie vor dem einzelstaatlichen Gericht geklagt hätte, erklärt der immer lesenswert schreibende Richter Posner. Er und seine Kollegen sind nicht bereit, von dem geltenden Recht des Staates abzuweichen, denn hier ist kein Bundesrecht anwendbar, aaO 6. Sie wollen auch nicht raten, ob der oberste Gerichtshof von Illinois diesen Fall abweichend von den Präzedenzfällen entscheiden würde.

Zum Vertragsanspruch erklärt das Gericht, dass beide Ärzte dem Verband AANS angehörten. AANS schreibt Regeln für Gutachter in einem Ehrenkodex vor. Obwohl der beklagte Gutachter den Kodex verletzte und deshalb aus dem Verband entlassen wurde, gewährt dieser Umstand der Klägerin keinen Schadensersatzanspruch aus Vertragsverletzung. Ein Vertragsverhältnis besteht nämlich zwischen AANS und jedem Mitglied. Untereinander sind die Mitglieder nicht vertraglich verbunden.

Drittbegünstigt nach Vertragsrecht ist die Klägerin auch nicht, s. Johnson Bank v. George Korbakes & Co., 472 F.3d 439, 441 (7th Cir. 2006). Zudem steht ihr kein Recht zu, den Kodex gegen andere Mitglieder durchzusetzen. Dieses Recht gehört allein dem Verband wie jedem Verein, der sich eine Satzung schafft, s. Pacaud v. Waite, 75 N.E. 779, 782 (Ill. 1905). Niemand würde einem Verein beitreten, wenn sich damit ein Mitglied ohne ausdrückliche Satzungsregelung Klagen anderer Mitglieder aussetzen würde, bestimmt das Gericht, aaO 10.

Das Urteil wägt gründlich die rechtspolitischen und Parteiinteressen ab. Irgendwann muss das Klagen ein Ende haben. Ein Ausufern von Prozessen über den ursprünglichen Streitfall hinaus will das Gericht nicht fördern. Weder der Gesetzgeber noch das Gewohnheitsrecht haben eine Notwendigkeit erkannt, Gutachter oder Zeugen für die Probleme der Parteien eintreten zu lassen. Diese sind in ihrer Haftung auf die Umstände beschränkt, die sie absichtlich und böswillig herbeiführen.

Wer erlebt hat, wie anerkannte Kapazitäten als Gutachter im Kreuzverhör zum Gegenteil ihrer wahren Ansicht geführt werden - oder selbst als Gutachter das Kreuzverhör überstanden hat-, kann das vom Gericht sicherlich bedachte und dem Haftungsprivileg zugrunde liegende, doch hier nicht weiter ausgeführte Argument des Zeugenstresses im Kreuzverhör nachvollziehen.

Gutachter, Sachverständige und Zeugen werden vereidigt und stehen daher ohnehin immer mit einem Bein wegen der Meineidsgefahr im Gefängnis, wenn die Gegenseite das Gegenteil belegt. Gerade bei Rechtsgutachten trifft das regelmäßig zu. Bei ihnen sind mehr noch als die Fachkenntnis eine immense Vertrautheit mit dem Verhör und extrem starke Nerven unverzichtbar.







CK
Rechtsanwalt u. Attorney Clemens Kochinke ist Gründer und Her­aus­ge­ber des German Ame­ri­can Law Journal in der Digitalfassung so­wie von Embassy Law. Er ist nach der Ausbildung in Deutschland, Mal­ta, Eng­land und USA Jurist, vormals Referent für Wirt­schafts­politik und IT-Auf­sichtsrat, seit 2014 zudem Managing Part­ner einer 75-jäh­ri­gen ame­ri­ka­nischen Kanzlei für Wirtschaftsrecht. Er erklärt deutsch-ame­ri­ka­ni­sche Rechts­fra­gen in Büchern und Fachzeitschriften.

2014 erschien sein Kapitel Vertragsverhandlung in den USA in Heus­sen/Pischel, Handbuch Vertragsverhandlung und Ver­trags­ma­na­ge­ment, und 2012 sein Buchbeitrag Business Nego­ti­ati­ons in Ger­ma­ny in New York, 2013 sein EBook Der ame­ri­ka­ni­sche Vertrag: Planen - Ver­han­deln - Schreiben.

Die meisten Mitverfasser sind seine hochqualifizierten, in das amerikanische Recht eingeführten Referendare und Praktikanten.